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«Broadcast Yourself» – wie Schweizer Politiker nervigen Journalisten-Fragen ausweichen

Autorenbild: Andri NayAndri Nay

Ein FDP-Shootingstar hält einen Monolog, ein SP-Duo veranstaltet ein «Bauerntheater» und ein Bundesrat spricht über Wein in Kirgistan. Politiker interviewen sich selber in eigenen Podcasts. Aber warum?


Ein junger Mann vor einem Laptop und Mikrofon
Nimmt die Sendung auf, wo es ihm gefällt: Andri Silberschmidt.

Andri Silberschmidt hat soeben im Zürcher Seefeld eine Sitzung der nationalrätlichen Finanzkommission absolviert. Er packt sein Mikrofon aus, verkabelt es mit seinem Laptop und stellt es auf die Verpackung drauf. Ansatzlos spricht er ins Mikrofon: «Herzlich Willkommen zum Wochenkommentar.»


Silberschmidt ist nicht der erste Politiker in der Schweiz, der regelmässig einen Podcasts aufzeichnet. Neben ihm hat das SP-Duo Mattea Meyer und Cédric Wermuth, der Aargauer Landammann Markus Dieth, die Grünen oder auch die FDP Zürich einen Podcast. Seit September ist auch SVP-Präsident Marcel Dettling ins Podcast-Business eingestiegen. Jetzt haben wirklich alle einen Podcast.


Der Trend zum Politiker-Podcast kommt aus den USA, wo Kongressabgeordnete oder Senatoren schon seit Jahren Folgen aufzeichnen. Doch funktionieren solche Formate auch in der Schweiz? Und was ist ihr Mehrwert? Sven Preger, Leiter Podcasts bei der NZZ, hat sie sich angehört.


Andri Silberschmidt: «im Stile eines US-Congressman»


Andri Silberschmidt spricht, als höre ihm auf der anderen Tisch-Seite ein guter Freund zu. Das mache er bewusst so, sagt er. Seine Zuhörer sollen ihn von einer lockeren Seite kennenlernen.


In der an diesem Tag aufgezeichneten Episode geht es darum, wie man den Einstieg in die Politik schafft. Silberschmidt erzählt, wie er selber politisiert wurde: mit 17 Jahre am Bahnhof Wetzikon. Dort kam es an Wochenenden nach dem Ausgang zu Schlägereien. Silberschmidt nahm sich dem Thema an, lancierte eine Motion und fand so den Weg in die lokale Politik.


Im Podcast empfiehlt er seinen Zuhörerinnen und Zuhörern, es ihm gleichzutun. Das Medium Podcast gebe ihm die Möglichkeit, sich auch einmal solchen Themen zu widmen. Hier müsse er nicht nur immer über Politikgeschäfte sprechen. «Der Mix ist entscheidend.»


In einem ersten Anlauf vor vier Jahren befragte Silberschmidt Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik, danach testete er ein Format mit der Schweizer Comedian Reena Krishnaraja aus. Doch das Feedback sei stets dasselbe gewesen: «Wir wollen dich hören und niemand anders.» Darum hält Silberschmidt den Podcast seit einem Jahr im Monolog. Er selber bestimmt das Narrativ.


Zwar sind es nur 450 Personen, die sich eine Folge des Wochenkommentars anhören, doch die meisten davon würden den Podcast von Anfang bis Ende hören, sagt Silberschmidt.


Sven Preger, Leiter Podcast bei der NZZ, erkennt im Moderator die Stärke des Podcasts: «Silberschmidt wirkt authentisch, frisch und macht das souverän, so ein bisschen wie ein US-Congressman.» Dem Podcast-Experten gefällt, dass Silberschmidt die Sendung als Monolog gestaltet. «Der Einstieg ins Thema ist direkt, ohne den üblichen Small Talk.» Dass Silberschmidt einen Monolog hält, passe zu seiner liberalem Gesinnung, weil dort das Individuum im Zentrum stehe.


Meyer:Wermuth: «professionelles Bauerntheater»


Dass man hochwertiger produzieren kann, beweisen Mattea Meyer und Cédric Wermuth. Das Co-Präsidium der SP nimmt seine wöchentlichen Folge in einem Studio in der Nähe des Bahnhofs in Bern auf.


Sie sprechen in ihrem Podcast über Handyverbote an Schulen, Terrorismus-Prävention oder auch über die Finanzierung der Parteien. Auf Anfrage sagen sie, dass sie mit dem Podcast andere Menschen erreichen als zum Beispiel in einem Auftritt in der Arena von SRF. Sie können neue politische Themen setzen. Und es macht ihnen auch noch mehr Spass als das Streiten in der Arena.


Vorteil vom Podcast: Politiker haben alles unter Kontrolle – es gibt kein nervigen Journalisten-Fragen. Ein Blick auf die Statistik zeigt, dass 60 Prozent der Zuhörerschaft von «Meyer:Wermuth» jünger als 35 Jahre alt ist. Durchschnittlich hören sich 6000 Menschen die einzelnen Folgen an. Drei Viertel von ihnen von Anfang bis Ende.


Sven Preger sagt: «Man merkt von der Tonqualität, dass die Produktion professioneller ist.» Aber das Format habe auch etwas «bauerntheatriges». Im Vergleich zu Silberschmidt müssten die beiden Sozialdemokraten erstmal erklären, warum sie über dieses oder jenes Thema sprechen und warum es relevant ist. «Der Einstieg wirkt gestelzt und es ergibt sich ein zu harmonischer Zweiklang.»


Markus Dieth trifft: «klassische Werbeveranstaltung»


Neuling unter den Schweizer Podcastern ist Markus Dieth, Aargauer Landammann und Präsident der Konferenz der Kantonsregierungen. In den ersten beiden Folgen von «Markus Dieth trifft» lädt er eine CEO einer Aargauischen Bank und den Präsidenten des Branchenverbands Aargauer Wein ein. In der dritten Folge landet er einen Coup: Der sonst so medienscheue Bundesrat Ignazio Cassis ist zu Gast.


Doch Landammann Dieth fragt zu wenig kritisch nach. Sein «Freund Ignazio» erzählt ein paar unterhaltsame Anekdoten wie zum Beispiel vom Ersten August 2022, wo er in Kirgistan beschwipst von ein paar Gläsern Wein mit Maroš Šefčovič, dem Vize-Präsident der EU-Kommission, ein Telefonat geführt hatte.


Dabei bleibt es allerdings. Kritikpunkte wie die fehlende Präsenz von Cassis in der Presse oder die fehlenden Erfolge in der EU-Politik bleiben aus. Wie Wermuth und Meyer scheint es auch dem Bundesrat lieber zu sein von einem guten Freund, anstatt von einem Journalisten interviewt zu werden.


Podcast-Experte Preger versteht nicht, was der Podcast von Dieth bezwecken soll. Sobald es spannend werde, hake dieser zu wenig nach. Für Preger ist der Fall klar: Um viele junge Menschen zu erreichen, muss Dieth an seinem Format schaffen. Bisher sei das eine «klassische Werbeveranstaltung».


Journalismus kommt zu kurz


Neben diesen drei Podcasts gibt es weitere: Die FDP Zürich nimmt regelmässig Sendungen auf, und auch die Grünen Schweiz. Seit Anfang September ist SVP-Präsident Dettling unter die Podcaster gegangen. Andere Formate wurden bereits wieder eingestellt, wie zum Beispiel ein Podcast der SP Zürich.


Avenir Suisse, Axpo, der Städteverband oder das Luzerner Forum für Sozialversicherungen und Soziale Sicherheit machen ebenfalls Podcasts. In Swica Talks wird über Gesundheit gesprochen, im Heidiland-Podcast über Tourismus und in «A plus for Humanity» über die Arbeit der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit in Bern.


Damit konkurrenziert sind klassische Medien mit Journalistinnen und Journalisten. Sie werden durch Kommunikationsabteilungen und Social-Media-Kanäle ersetzt. Darunter leidet die kritische Berichterstattung und die Debatten-Kultur im Land.


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